Ausstellungstitel: Chronotopes – Artefakte aus fiktiven Zeit-Räumen
Künstler*innen: Simone Pellegrini, Aniana Heras, Forlenza
Ort: Luisa Catucci Gallery, Brunnenstr. 170, 10119 Berlin
Meet&Greet: 16. Mai 2025, 18:00–21:00 Uhr
Laufzeit: 16. Mai – 14. Juni 2025
Ausstellungstitel: Chronotopes – Artefakte aus fiktiven Zeit-Räumen
Künstler*innen: Simone Pellegrini, Aniana Heras, Forlenza
Ort: Luisa Catucci Gallery, Brunnenstr. 170, 10119 Berlin
Meet&Greet: 16. Mai 2025, 18:00–21:00 Uhr
Laufzeit: 16. Mai – 14. Juni 2025
Chronotopes ist nicht einfach eine Ausstellung, sondern eine archäologische Inszenierung einer imaginären Kultur – einer fiktiven Zivilisation, die durch die Begegnung dreier eigenständiger künstlerischer Positionen erschaffen wird. Die Präsentation erinnert in ihrer Atmosphäre an ein Museum: Vitrinen, Relikte, zeremonielle Anordnungen. Doch die gezeigten Objekte stammen nicht aus einer bekannten Vergangenheit, sondern sind Artefakte spekulativer Welten – Chronotopen im Sinne Bachtins, in denen Raum und Bedeutung zu mythischen, nichtlinearen Vorstellungen verschmelzen.
Die Ausstellung, kuratiert als fiktive und zugleich in sich schlussige kulturelle Erzählung, vereint drei Künstler*innen, die bislang nie zusammengearbeitet haben: Simone Pellegrini, dessen Zeichnungen esoterische Kartografien und antike Schriften evozieren; Aniana Heras, deren Keramiken an rituelle Gefäße oder andächtige Fragmente erinnern; und Forlenza, deren High Jewellery den edlen Schätzen verlorener Dynastien gleicht. In dieser unwahrscheinlichen Konstellation entwirft Chronotopes ein symbolisches System, das sich vom historischen Zeitbezug löst – eine poetische Anthropologie, die in einem Raum zwischen Erinnerung und Erfindung, zwischen Herkunft und Geheimnis existiert.
Im Zentrum der Ausstellung steht die Arbeit von Simone Pellegrini. Seine monumentalen Zeichnungen treten nicht als Bilder auf, sondern als Denkflächen – Ausgrabungen innerer Welten, sedimentiert von Zeit und Text. Seine Kompositionen entziehen sich klaren Genregrenzen und entstehen im Spannungsfeld von Schreiben und Zeichnen, von Kontrolle und Hingabe. Durch ein aufwendiges Verfahren, bei dem er seine eigenen Bildträger herstellt und Pigmente über Matrizen und Transfertechniken indirekt appliziert, entwickelt Pellegrini eine visuelle Sprache, die ebenso viel verbirgt wie enthüllt. Das Ergebnis ist eine Art Palimpsest – eine überschichtete Fläche, in der sich Fragmente ansammeln, ohne sich zu einem Ganzen zu verdichten.
Pellegrinis Praxis ist von einer radikalen philosophischen Suche durchdrungen. Die Wände seines Ateliers tragen Spuren eines ständigen intellektuellen Dialogs – mit Deleuze, Spinoza, Agamben, Bonnefoy u. a. Doch diese Denker bilden kein System, sondern erzeugen Spannung. Seine Arbeiten entstehen an der Grenze der Sprache, in jenem Raum, in dem Worte „ermüdet“ sind und das Bild nicht illustriert, sondern zum Denken anregt. In diesem Sinne sind seine Zeichnungen eher Vorschläge als Darstellungen, die die Bedingungen hinterfragen, unter denen Bedeutung entsteht und sich zugleich wieder auflöst.
Wenn Pellegrinis Werke den Geist einer nie existenten Zivilisation evozieren – eine aus Glyphen, Karten und rituellen Diagrammen zusammengesetzte Welt –, dann scheinen die Keramiken von Aniana Heras deren symbolischen und häuslichen Ritualen zu entstammen. Ihre Praxis kreist um das Gefäß, insbesondere um die Vase, die sie so weit dekonstruiert, bis sie zu einem anderen Objekt wird: einem Gefäß, das der Funktion widersteht, oft versiegelt oder unzugänglich, das eher das Konzept des „Behaltens“ als die praktische Nutzung anspricht. Ihre Formen stammen von einer traditionellen Vase aus ihrer Heimatregion, die sie durch ein persönliches und fantasievolles Vokabular neu interpretiert. Daraus entsteht ein Werkkomplex, der zwischen Ritual und Mythos schwingt, zugleich aber stark eigensinnig bleibt – Objekte, die archetypisch und zugleich vollkommen neu erscheinen.
Ihre Herangehensweise reaktiviert die Idee des Votivs – des mit Absicht, Sehnsucht oder Opfer aufgeladenen Objekts. Diese Keramiken performen nicht, sie strahlen. Ihre Texturen, Risse und Glasuren sind weniger ästhetische Entscheidungen als Konsequenzen ihres Entstehens. So sprechen sie eine Zeitlichkeit an, die zyklisch und durchlässig ist, und klingen mit der Erde zusammen, aus der sie geformt wurden und zu der sie schließlich zurückkehren.
Die Präsenz von Forlenza fügt eine weitere Resonanzebene hinzu: das Schmuckstück. Es handelt sich nicht um skulpturalen Schmuck, sondern um echte High Jewellery – Unikate, die höchste italienische Handwerkskunst verkörpern. Mit der Einbeziehung von Schmuck reflektiert Chronotopes bewusst museale Präsentationen archäologischer Sammlungen, in denen Schmuck eine zentrale Rolle bei der Vermittlung sozialer, spiritueller und materieller Kulturen vergangener Zivilisationen spielt.
Die sorgfältig gefertigten und symbolisch aufgeladenen Stücke von Forlenza funktionieren nicht nur als kostbare Zier, sondern als kulturelle Artefakte – Objekte, die Erinnerungen, Mythen und Rituale in sich tragen. Ihre Eleganz ist nicht oberflächlich, sondern in Form, Intention und Tradition eingebettet. Sie erinnern an zeremonielle Ornamente und Ahnenrelikte und verleihen der Ausstellung eine weitere Dimension von Intimität und Körperlichkeit. Da sie zum Tragen gedacht sind – nah an der Haut –, ziehen sie den Betrachter in eine unmittelbarere, verkörperte Auseinandersetzung mit den Themen der Ausstellung hinein.
Anstatt die poetische Archäologie von Pellegrini und Heras zu unterbrechen, intensiviert Forlenzas Präsenz sie. Die Juwelen erden das Spekulative im Kostbaren, das Abstrakte im Greifbaren. Sie erinnern uns daran, dass jede Zivilisation – ob real oder erfunden – ihre Geschichte nicht nur durch Bilder und Objekte erzählt, sondern auch durch das, was sie am Körper trägt.
Was diese drei künstlerischen Positionen verbindet, ist eine gemeinsame Weigerung, sich abzuschließen. Chronotopes ist ein Raum der Echos, keine Sammlung von Feststellungen. Sie lässt sich vom Musealen inspirieren, unterläuft jedoch dessen Fixierung: Statt Objekte zu katalogisieren, belebt sie sie; statt Chronologie zu bestätigen, fragmentiert sie sie. Die Galerie wird zur Schwellenzone, zu einem Kabinett spekulativer Relikte, einem Theater der Erinnerung ohne Ursprung.
In dieser Choreografie von Oberflächen und Texturen, Fragmenten und Symbolen ist der Betrachter eingeladen, nicht zu entschlüsseln, sondern zu verweilen – sich durch den Raum zu bewegen wie durch einen Traum oder eine unbekannte Landschaft. Bedeutung ist hier flüchtig, bedingt, relational. Und genau in dieser Flüchtigkeit liegt die radikale Behauptung von Chronotopes: dass Kunst, in ihrer kraftvollsten Form, nicht die Welt abbildet, sondern die Bedingungen unseres Sehens neu verhandelt.